Stuttgarter Zeitung
vom 14.07.2003

Von Gunther Nething

Neuhäuser Neuinszenierung von "Bauern in Not" sorgt für vollen Ochsengarten -

Adlige Abzocker machen das Landvolk kreuznarret
Am Sonntag (... dem 20.07.2003 ...) Festzug zum 850-Jahr-Jubiläum

NEUHAUSEN. Der neue Kampf ums alte Recht - die Aufführungen des Stücks "Bauern in Not" signalisierten übers Wochenende in Neuhausen einen ersten Höhepunkt der 850-Jahr-Feiern und waren zugleich ein gesellschaftliches Ereignis.

Nicht alles kann eine auch noch so ausgeklügelte Regie auf den Punkt genau vorherbestimmen. Aber sie kann sich darauf einstellen. Und so fehlten denn auch nicht Eimer und Kutterschaufeln, als es just beim Auftakt des Freilichttheaters im Ochsengarten das Ross des Herolds zum Äpfeln drängte. Rasch waren die Rossbollen beseitigt - und was dann folgte, war ein rund drei Stunden währendes Spektakel mit einer Mischung aus Heimatstück und Bauernoper, Liebesdrama und politischem Aufklärungsopus. Gut hundert Neuhäuser aus den unterschiedlichsten Gruppierungen bevölkerten abwechselnd die breite Bühnenbildszenerie von Todor Pavlov - und dafür waren die Pannen bei der Premiere verschwindend.

Der Lehrer Ottmar Kärcher hatte das Stück vor 50 Jahren verfasst. Und als er jetzt wie ein Geist aus dem Grab mit Nachthemd und Zipfelmütze im Ochsengarten auftauchte, um nach dem Rechten zu sehen, da zeigte sich die Kontinuität im Neuhäuser Gesellschaftsleben: Viele streckten, die noch bei Kärcher in den Unterricht gingen. Für den pensionierten Gymnasiallehrer Siegfried Müller steht diese Art von Popularitätstest noch aus, aber mit der aus seiner Feder stammenden Neuinszenierung ist ja ein Anfang gemacht. Müller erwies sich bei der Aufführung als eine Art Conférencier, eine weitere gelernte Pädagogin zog mehr im Hintergrund die Fäden, nämlich Gerda Weyhreter. Sie war im Gespräch mit den Altneuhäusern Willi Fay und Karl Bayer auf das Stück gestoßen - und hatte sofort Feuer gefangen.

Die Geschichte selbst ist eigentlich rasch erzählt. Ein fränkischer Junker namens Wolf von Rotenhan kommt Mitte des 17. Jahrhunderts in den Besitz des halben Fleckens und hält Einzug im oberen Schloss. Meist ist er nicht da, doch sein Vogt zeigt umso mehr Präsenz und erweist sich als rechter Blutsauger und Bauerndrangsalierer. Die Landmänner murren und meutern, pochen auf das alte Recht und lassen die Geschichte bis zur Anrufung des Rottenburger Landeshauptmanns eskalieren. Der reist dann auch im Ponywägele mit zwei Doctores der Jurisprudenz an, hält Gerichtstag und stellt die Abzocker im Gewand des Gottesgnadentums gehörig in den Senkel. Alle Rechtsverschärfungen sind null und nichtig, Blutzehnt bei Hühnern und Schweinen, Rauchhennen und sonstige Tricks des blaublütigen Zockergewerbes sind hinfällig. Im Gegenzug hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die Bauernweiber den vom Vogt eingesetzten Schultes trickreich als kleinen Eierdieb überführt.

Und weil"s so schön ist und immer wieder rührt, durfte auch die Liebe nicht fehlen. Gretel mag Anton, und Anton mag Gretel. Doch die Sache hat das Zeug zur Mésalliance par excellence. Sie ist des Vogtes liebstes Töchterlein, er dem Bauern Bayer sein Jonger. Und trotz der vielen Welten zwischen Schloss und Stall, Rehmedaillon und "häbernem Brei" soll Gott Amor die Brücke bauen. Und tut"s schließlich auch.

Die Rolle des Anton ist es auch, die ein weiteres Beispiel für Neuhäuser Kontinuitäten abwirft. Spielte vor einem halben Jahrhundert Horst Eisele den verknallten Spund, so mimte er diesmal den Adlerwirt Alfons Mayer - schließlich ist der gute Mann der Rolle des jugendlichen Liebhabers schon leicht entwachsen. Was sich indes der Eiseles-Horst bewahrt hat, ist das nötige theatralische Geschick und eine prägnante Stimme. Denn Lieder und Musik zählten mit zu einem wesentlichen Element des Freilichtspektakels im "Filder-Oberammergau". Dazu hatte der Kirchendekanatsmusiker Markus Grohmann eigens einen Begleitchor zusammengestellt und Eigenkompositionen beigesteuert.

Während sich über den Ochsengarten die Nacht senkt und auf den harten Biertischbänken schon so manches Kreuz zu ächzen beginnt, hellt sich für die Bauern die Situation immer mehr auf. Und helles Lachen klingt auch auf (und verrät Ortskenntnis), wenn von einer herrschaftlichen Nacht-und-Nebel-Aktion die Rede ist, bei der die Dorflinde gefallen ist; da sind wohl Dorfplatz und Schlossplatz austauschbar . . .

Das Spektakel von Neuhausen, das am kommenden Sonntag mit dem historischen Umzug (Beginn 14.30 Uhr) seine mobile Fortsetzung findet, hat indes nicht nur nach hinten geblickt. Die Bauern erkennen, dass Genugtuung noch keine Freiheit bedeutet. Und so hinterlassen sie dies der Nachwelt: "Wer Freiheit findet, findet auch Gleichheit. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen!"